Eigentlich war es ein ganz normaler Samstag – bis kurz vor halb Zehn bei Oberregierungsrätin Sabine Kerner das Telefon klingelt. Am anderen Ende der Leitung ist Kreisbrandinspektor Adolf Mendel und er hat schlechte Nachrichten – verdammt schlechte Nachrichten, wie sich im Laufe des Tages herausstellt. Gegen 8.51 Uhr hatte die Einsatzzentrale der Polizei einen Flugzeugabsturz auf dem Bahnhofsgelände von Kirchenlaibach an die Leitstelle Bayreuth-Kulmbach gemeldet. Eine Rauchsäule stehe über dem Bahnhof, ein zweites Flugzeug sei im Industriegebiet Speichersdorf abgestürzt. Die Leitstelle alarmiert nach dem Einsatzstichwort „Notlandung Passagierflugzeug, Fracht- und Militärflugzeug“ um 8.53 Uhr, Feuerwehr und Rettungsdienst sind bereits im Großeinsatz, als Sabine Kerner in ihrer Funktion als Leiterin der „Führungsgruppe Katastrophenschutz“ (FüGK) von der Schadenslage erfährt. Sofort informiert sie Landrat Hermann Hübner, der am 23.11.2013 um 9.27 Uhr den Katastrophenfall für den Landkreis Bayreuth ausruft. Nur wenig später hält KBI Mendel in seiner Funktion als Örtlicher Einsatzleiter (ÖEL) das schriftliche Dokument in Händen.
Bei dem Schadensszenario handelte es sich glücklicherweise „nur“ um eine Stabsrahmenübung für die FüGK, die Fachberater und die Unterstützungsgruppe Örtliche-Einsatzleitung (UG-ÖEL), die von Kreisbrandrat Hermann Schreck nach realistischen Gesichtspunkten, höchst geheim, geplant wurde.
Es folgt ein ungewohntes Bild für einen Samstag morgen: eilig hasten die Mitarbeiter der Führungsgruppe über den Parkplatz in den Keller des Landratsamtes – dort sind die Stabsräume mit erforderlicher Technik angesiedelt. Auch die alarmierten Fachberater von Technischem Hilfswerk, Bayerischen Roten Kreuz, Malteser Hilfsdienst, Polizei, Bundeswehr und -polizei, Wasserwirtschaftsamt und der Notfallmanager der Bahn nehmen ihre Plätze ein. Sabine Kerner checkt den Status ihrer Mannschaft, es kann los gehen.
Auf dem Parkplatz des Landratsamtes hatte bereits kurz vorher die Unterstützungsgruppe Örtliche Einsatzleitung ihr Einsatzleitfahrzeug (ELW-2) aufgebaut. Der Funk ist besetzt, die Schadenslage auf einer großen Karte dargestellt und KBI Mendel beginnt, Anforderungen und Aufträge an die FüGK zu geben. Im Ernstfall wäre diese Einheit selbstverständlich im Schadensgebiet platziert.
Neun Einsatzabschnitte werden imaginär im Schadensgebiet bereits gebildet, von Menschenrettungen, Brandbekämpfungen, Wasserförderungen, Verletztenversorgung bis hin zum Bereitstellungsraum. Im Feuerwehrhaus Speichersdorf wurde ein Abschnitt „Betreuung von Betroffenen“ und in Kirchenlaibach eine „Medienbetreuung“ eingerichtet.
Das Szenario lässt wenig aus: Feuer, über 200 Verletzte, Tote, auch in einem entgleisten Zug. Allein in einer Militärmaschine seien 45 Fallschirmspringer gewesen, so eine Meldung des ÖEL. Dazu ein eingestürztes Fabrikgebäude und fünf Gebäudebrände. Immer wieder kommen neue Anforderungen an die Führungsgruppe, die sich gemeinsam mit den Fachberatern um die Organisation kümmert.
Nach über drei Stunden ist die „erste Luft raus“ aus der Übung. Die Mitarbeiter der FüGK haben ihre Aufgaben abgearbeitet. Schweres und Spezialgerät bis hin zur Erkundungsdrohne geordert, Einsatzkräfte und Fachleute angefordert, Verpflegung bestellt, Unterkünfte und eine Pressekonferenz organisiert. Dann wird es noch einmal spannend. Erste Einsatzkräfte klagen über Schwindel, Fässer mit der Aufschrift Tabun wurden gefunden. Richard Knorr vom Bayerischen Roten Kreuz warnt: hochgefährlich, die Einsatzkräfte müssen zurück gezogen und dekontaminiert werden. Eine neue Lawine rollt auf die Führungsgruppe zu. Doch damit nicht genug: plötzlich eine ganz neue Situation. Auf der Autobahn A9 hat sich eine Massenkarambolage mit 35 Fahrzeugen ereignet. Auf dem Gelände des Bahnhofes in Kirchenlaibach ist Munition explodiert, eine Einsatzkraft ist verletzt, die Brandbekämpfung musste abgebrochen werden. Während im Erstalarm rund 250 Kräfte an der Einsatzstelle kalkuliert wurden, ist die Anzahl zwischenzeitlich auf weit über 800 angestiegen.
Der Uhrzeiger wandert in Richtung 15 Uhr – spätestes Übungsende. Ganze fünf Stunden hat das Team um Sabine Kerner intensiv gearbeitet und organisiert. Die Luft im Keller des Landratsamtes ist stickig geworden. Kerner bedankt sich bei allen, die an der Stabsrahmenübung teilgenommen haben. Manöverkritik wird es an diesem Tag nicht geben, jeder solle sich erst seine eigenen Gedanken zur Übung machen. Schließlich kommt noch der zu Wort, der sich dieses „Unglück“ ausgedacht hat. Nach realistischen Gegebenheiten, wie er selbst sagt. Lediglich der Güterzug in Kirchenlaibach sei zu dieser Zeit nicht an diesem Ort vorstellbar. Kreisbrandrat Hermann Schreck zeigt sich zufrieden mit der Leistung. Die Kommunikation zwischen FüGK und ÖEL müsse noch technisch verbessert werden, die Zusammenarbeit vor allem auch der Fachberater untereinander sei hingegen herausragend gewesen, urteilt Schreck.
Und so wird der 23.11.2013 nicht als Unglückstag mit einem Katastrophenfall in die Geschichte des Landkreises Bayreuth eingehen, sondern als ein lehrreicher, aufschlussreicher und somit gewinnbringender Tag.
Text: Carolin Rausch, Leiterin FB Öffentlichkeitsarbeit
Fotos: Carolin Rausch, Gerhard Eichmüller